Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
Dmitri Schostakowitsch versah das achte Streichquartett mit der Widmung „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“. Man hat diesen offiziellen Wortlaut, der im Manuskript noch nicht auftaucht, also erst nachträglich hinzugefügt wurde, häufig mit Schostakowitschs Eindrücken von der zerstörten Stadt Dresden im Jahr 1960 in Verbindung gebracht. Heute wissen wir, dass das Werk – bei aller Sympathie Schostakowitschs für Dresden und seine tragische Geschichte – einen wesentlich persönlicheren Hintergrund hat.
Kurz vor Antritt seiner Reise nach Dresden war Schostakowitsch auf äußeren Druck in die KPdSU eingetreten, da man ihn zum Vorsitzenden des Vorsitzenden des Komponistenverbandes der RSFSR (Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik) ernennen wollte. Er selber hat dies als schwere moralische Niederlage empfunden, die einen Nervenzusammenbruch und Selbstmordgedanken zur Folge hatte. Vor diesem Hintergrund komponierte er in Gohrisch anstelle der geplanten Filmmusik zu „Fünf Tage – fünf Nächte“ ein äußerst tragisches, persönlich gehaltenes Werk, das er – wie aus einem erst viele Jahre nach seinem Tod veröffentlichten Brief an Isaak Glikman vom 19. Juli 1960 hervorgeht – als ein „Requiem“ für sich selbst verstand:
„… Wie sehr ich auch versucht habe, die Arbeiten für den Film im Entwurf auszuführen, bis jetzt konnte ich es nicht. Und stattdessen habe ich ein niemandem nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett geschrieben. Ich dachte darüber nach, dass, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk schreiben wird, das meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben: ‚Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts’.“
Den autobiographischen Charakter unterstrich Schostakowitsch – wie in anderen Werken auch – durch die Verwendung der Tonfolge d-s-c-h (der musikalischen Entsprechung seiner Initialen D. Sch.), die das Werk bedeutungsvoll eröffnet. Außerdem finden sich in allen Sätzen Zitate eigener wie auch fremder Kompositionen. Bezeichnend ist die zyklische Anlage des gut 20-minütigen Werkes, dessen fünf Sätze nahtlos ineinander übergehen: Sie führen von einem eröffnenden Largo über zwei schnelle Sätze – einem aggressiven Allegro molto und einem hintersinnigen Allegretto-Scherzo – mit zwei Largo-Sätzen zur düsteren Ausgangsstimmung zurück.
In seinem bereits zitierten Brief an Glikman schrieb Schostakowitsch in dem für ihn typischen ironisierenden Tonfall weiter: „Grundlegendes Thema des Quartetts sind die Noten D. Es. C. H., d.h. meine Initialen (D. Sch.). Im Quartett sind Themen aus meinen Kompositionen und das Revolutionslied ‚Gequält von schwerer Gefangenschaft’ verwandt. Folgende meiner Themen: aus der 1. Symphonie, der 8. Symphonie, aus dem [2. Klavier-]Trio, dem [1.] Cellokonzert, aus der [Oper] ‚Lady Macbeth’. Andeutungsweise sind Wagner (Trauermarsch aus der ‚Götterdämmerung’) und Tschaikowsky (2. Thema des 1. Satzes der 6. Symphonie) verwandt. Ach ja: Ich habe noch meine 10. Symphonie vergessen. Ein netter Mischmasch. Dieses Quartett ist von einer derartigen Pseudotragik, dass ich beim Komponieren so viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser lässt nach einem halben Dutzend Bieren. Zu Hause angekommen, habe ich es zweimal versucht zu spielen, und wieder kamen mir die Tränen. Aber diesmal schon nicht mehr nur wegen seiner Pseudotragik, sondern auch wegen meines Erstaunens über die wunderbare Geschlossenheit seiner Form.“
Das achte Streichquartett wurde am 12. Oktober 1960 in Leningrad durch das Beethoven-Quartett, Schostakowitschs bevorzugte Quartett-Formation, uraufgeführt. Es ist heute das meistgespielte Quartett des Komponisten und gilt als sein persönlichstes Musikdokument.
Berühmt wurde auch die Bearbeitung des Quartetts für Streichorchester von Rudolf Barschai, die Schostakowitsch „autorisierte“ und als „Kammersymphonie op. 110a“ in sein eigenes Werkverzeichnis aufnahm.